Exilmuseum: Dem Exil eine Heimat geben

Werkstatt Exilmuseum Fasanenstraße 24, Szenographie: chezweitz
© Till Budde © Stiftung Exilmuseum

Wer nach dem Aufstieg der Nationalsozialisten in den 1930er Jahren nicht in die NS-Ideologie passte, wie Juden und Andersdenkende, musste aus Deutschland fliehen, um zu überleben. Das geplante Exilmuseum in Berlin widmet sich denen, die ihrer Heimat entrissen wurden und in der Fremde eine neue Existenz aufbauten. 

Das Museum möchte auf die Lebensläufe, die außerhalb Deutschlands auf vielfältige Weise weitergingen, aufmerksam machen. Der Fokus liegt auf den Jahren 1933-1945 mit Verbindungen zur Gegenwart. Das Museum soll 2026 eröffnen, bis dorthin lässt die Stiftung die Öffentlichkeit in ihre Werkstatt Ausstellung eintreten. Dort ist das zukünftige Museum zu erkunden. 

 

Von Sabine Schereck 

 

und dann der Knick in der Biografie. Billy Wilder, Max Reinhardt, Mascha Kaléko, Kurt Weill, Willy Brandt, Albert Einstein... In den 1920er Jahren waren sie in Deutschland, oft international gefeierte Künstler, angesehene Politiker, Anwälte oder Ärzte; Wissenschaftler mit bahnbrechenden Erkenntnissen; hinzu kamen die vielen kleinen Leute, die ebenfalls das Gewebe der Gesellschaft ausmachten. Wer nach dem Aufstieg der Nationalsozialisten in den 1930er Jahren nicht in die NS-Ideologie passte, wie Juden, Linke und Andersdenkende, musste aus Deutschland fliehen, um zu überleben. Als die Nationalsozialisten ihren Machtbereich über Deutschlands Grenzen hinweg erweiterten, waren auch diese Länder nicht mehr sicher. 

 

Das geplante Exilmuseum in Berlin widmet sich denen, die ihrer Heimat entrissen wurden und in der Fremde eine neue Existenz aufbauen mussten – sofern dies möglich war. Manche konnten nur ausharren, da ihnen die Sprache fremd war. Sie kämpften mit Armut, da sie nicht arbeiten konnten oder nur eine Tätigkeit verrichten, die weit entfernt von ihrem eigentlichen Talent war. Der entscheidende Blick ist, dass mit dem Ende des Krieges, das Exil nicht vorbei war. Selbst wenn manche Emigranten zurückkamen, die emotionalen Wunden und Narben blieben oftmals ein Leben lang, sofern das Dasein im Exil sie nicht frühzeitig in den Suizid trieb. Alfred Polgar schrieb: „Die Fremde ist nicht Heimat geworden, aber die Heimat Fremde.“  

 

Wie prägte das Exil die Menschen? 

 

Das Museum möchte auf die Lebensläufe, die außerhalb Deutschlands auf vielfältige Weise weitergingen, aufmerksam machen. Was bedeutete es, Emigrant zu sein? Wie nahm das Gastland sie auf? Wie war es möglich sich zu integrieren? Oder blieb der Flüchtling dort ein ewiger Fremdkörper? Bestand die Heimat aus denen, die ebenfalls geflüchtet waren und die Heimat mit sich trugen? So wie beispielsweise in Hollywood, wo das Berlin der 1920er Jahre geistig weiterlebte durch die Emigranten der Filmelite wie Billy Wilder, Marlene Dietrich und Friedrich Hollaender. Wo bereicherten die Exilanten die Entwicklungen in Wissenschaft, Kunst und Kultur des Gastlandes? Wie beispielsweise Kurt Weill, der mit seinen Musiktheaterkompositionen den Broadway maßgeblich beeinflusste. Wo und wie wurde ein Stück Deutschland der Zeit in die Welt getragen? Wie hat die Erfahrung des Exils die Menschen geprägt? 

 

Die Komplexität dieses Themas soll mit dem Exilmuseum einen zentralen Ort bekommen, der erfahrbar macht, was Exil bedeutete. Zudem möchte es den verschiedenen Stätten, die sich mit Exil beschäftigen, eine Plattform bieten. Daher wird es viele Kooperationen geben, darunter mit dem Jüdischen Museum Berlin, der Forschungsstelle für Exilliteratur an der Universität Hamburg oder den Archiven der Akademie der Künste und der Nationalbibliothek in Frankfurt. Das Haus soll ebenso ein Raum für Begegnung und Austausch werden. Der Fokus liegt auf den Jahren 1933-1945 mit Verbindungen zur Gegenwart – das Thema Exil ist spielt auch heute eine Rolle.  

 

Das Museum soll 2026 eröffnen. Bis dahin sind noch einige Hürden zu bewältigen, allen voran die Finanzierung. Das Museum basiert auf einer bürgerschaftlichen Initiative und dem Engagement des Kunsthändlers Bernd Schultz, der zusammen mit seinen Mitstreitern 2018 die Stiftung Exilmuseum gründete. Das heißt, das Projekt finanziert sich privat und ist auf Spenden angewiesen. Ein Museum, das sich mit solch einem schwerwiegenden Teil deutscher Geschichte auseinandersetzt, sollte vom Staat unterstützt werden. So werden derzeit Gelder von Bund und Land angefragt. Die nationale Bedeutung des Museums und das Prestige desselben zeigen sich in der Schirmherrschaft: Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck sowie die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, die sich bereits 2011 in einem offenen Brief an die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkelr ein „Museum des Exils“ einsetzte.  

 

Das Museum wird unweigerlich auch von internationaler Bedeutung sein, da Exil per se nicht auf ein Land begrenzt ist und die Emigranten in vielen Ländern Zuflucht fanden. Entsprechend sind internationale Kooperationen vorgesehen. 

 

Ort mit Symbolkraft 

 

Eine Besonderheit des Museums ist, dass es ein eigens dafür gebautes Haus bekommt. Den von der Stiftung ausgeschrieben internationalen Architekturwettbewerb hat das Architekturbüro Dorte Mandrup in Kopenhagen gewonnen. Entscheidend für die Entwürfe war der Bezug zum Standort: die Fläche um die Ruine des Anhalter Bahnhofs. Der Bahnhof besitzt viel Symbolkraft: Von dort aus gingen viele Verfolgte wie Klaus und Heinrich Mann, Alfred Döblin und Max Reinhardt ins Exil. Die Züge fuhren in Richtung Wien, Budapest, Triest und Karlsbad. Es gab Verbindungen nach Italien und Südfrankreich. Marseille war dort ein wichtiger Hafen, um Europa zu verlassen. 1938 rollte vom Anhalter Bahnhof auch der erste Zug mit dem Kindertransport nach England, bevor ab 1942 die Züge nicht in die Freiheit, sondern nach Osten in die Gefangenschaft nach Theresienstadt fuhren. 

 

Bis das Museum seine Türen öffnet, lässt die Stiftung die Öffentlichkeit in ihre Werkstatt Ausstellung eintreten. Dort ist das zukünftige Museum zu erkunden. Die Ausstellung ist im ehemaligen Käthe-Kollwitz-Museum in der Fasanenstraße 24 untergebracht in direkter Nachbarschaft zum Literaturhaus Berlin. Gemeinsame Veranstaltungen liegen nahe. Die Werkstatt Ausstellung in dem dreistöckigen Haus ist ein kleiner Geniestreich: Sie gibt der Stiftung und dem Museum eine Präsenz und macht das Projekt samt Thema greifbar. Dies erfolgt gleich auf mehreren Ebenen.  

 

Da sind die kleinen Installationen, die bereits einen Vorgeschmack geben, was im Museum zu erwarten sein wird und das Gefühl der Emigration vermitteln: Eine Anzeigetafel so wie man sie von Flughäfen und Bahnhöfen kennt, die Ankunft und Abfahrt anzeigt. Hier werden damit keine Zeiten angeben, sondern Fragen gestellt. Eine Lichtinstallation, d.h. eine geschwungene Linie, die sich über die Treppe zu den verschiedenen Stockwerken schlängelt, macht sichtbar, wie bewegt Lebensläufe waren. 

 

Im ersten Stock werden Workshops zum Thema angeboten bzw. können angefragt werden. Es gibt ein Fotostudio, dessen weißer Hintergrund gleichzeitig als Projektionsfläche fungiert. Das Thema bleibt lebendig: Es gibt Interviews mit Zeitzeugen und Experten. Im sogenannten ‚Labor’ nebenan stehen Tische mit Modellen, an denen verschiedenen Optionen der Museumsgestaltung ausprobiert werden können. Geplant sind Abschnitte mitunter zu ‚Jahrhundert des Exils’, ‚In Transit’, In den neuen Welten’, und ‚Momentaufnahmen’ zu den Jahren 1930 und 1955. Die Werkstatt Ausstellung ist partizipatorisch angelegt und Besucher sind willkommen, Anregungen zu geben.  

 

Bewegte und bewegende Geschichten 

 

„Es soll kein Objekt-basiertes Museum werden, sondern stark mit medialen Bespielungen arbeiten. Dennoch werden wir natürlich punktuell Objekte präsentieren, die auch als Dauerleihgaben aus anderen Sammlungen stammen können“, erklärt Sarah Blendin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Stiftung. „Da der Fokus auf Lebensgeschichten liegt, ist die Herausforderung, immer neue Zugänge zu finden, und damit Anreize, sich mit weiteren Biografien zu beschäftigen“, fährt sie fort. Da kommen doch ein paar Objekte ins Spiel. Eines davon ist ein gelb-schwarzes Taxilicht mit hebräischen Schriftzeichen. Es steht für das Leben Anuta Sakheims. Sie wurde die erste weibliche Taxifahrerin in Palästina. Eine Erfolgsgeschichte? Nein. Als Jüdin wurde sie bei Ullstein entlassen und floh 1933 nach Palästina. Sie war alleinerziehend und konnte die Sprache nicht. Von ihrem letzten Geld kaufte sie sich ein Auto und verdingte sich als Taxifahrerin in Jaffa. Geldsorgen dominierten ihr Leben. Nachdem sie ihren Sohn bei einer Verwandten in New York unterbrachte, nahm sie sich 1939 das Leben. 

 

Anders als die bereits existierenden Häuser, blickt das Exilmuseum auf die Leben, die die Verfolgung durch die Nazis zur Flucht zwang. Ängste, Sorgen und Gefahren reisten stets mit. Einmal angekommen, konnten sie der Armut entgehen? Sich integrieren? Ein neues Leben aufbauen? 

 

Das Thema Exil steht in Hamburg schon länger im Vordergrund. Seit 2016 werden dort die Tage des Exils veranstaltet, die dieses Jahr zum ersten Mal auch in Berlin zwischen 8. 9. und 9.10.2023 ausgerichtet werden. Die Werkstatt Exilmuseum wird auch beteiligt sein. Bis dahin heißt die Werkstatt Besucher zu einem Rundgang und zu Veranstaltungen willkommen. 

  

Werkstatt Exilmuseum  

Fasanenstraße 24  

10719 Berlin 

Donnerstag von 15-18 Uhr und nach Anmeldung. 

Eintritt frei  

 

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